20 Jahre Agentur, und die Lust auf das Mitgestalten unserer Gesellschaft
Warum wir Design gesellschaftlich über das reine Gestalten hinaus denken müssen
Was hat Sie dazu bewogen Gestalter zu werden und eine Agentur zu gründen?
Toby O. Rink: Puuh. :-) Um ehrlich zu sein, das frage ich mich heute manchmal auch. »Wie um Gottes Willen konntest Du nur einen solchen Beruf erlernen, für den inzwischen mehr und mehr die von außen kommende Wertschätzung verloren geht?« Wir hatten das auch schon als Thema bei uns intern. Dass wir, insbesondere ich selbst, die gemeinsame Wertschätzung nicht verlieren dürfen und uns auch gegenseitig mehr wertschätzen sollten mit dem was wir erschaffen. Damit tue ich mich leider etwas schwer, was auf der einen Seite am eigenen Lebensweg liegen mag, und auf der anderen Seite daran, dass man nach 36 Jahren in dieser Branche schon so einiges gesehen und miterlebt hat – und immer noch erlebt. Da wird im Laufe der Zeit ein Steinchen nach dem anderen in den Rucksack der Erfahrungen mit rein gepackt, ob man das möchte oder nicht. So steckt man Stein für Stein zwar irgendwie weg, trägt dieses Zeug aber eben unterbewusst mit herum. Und damit man selbst nicht zum starren Stein wird, sollte man sich immer wieder selbst dazu ermutigen, sich um eine gewisse emotionale Entrümpelung zu kümmern. Sonst kommt irgendwann jener Punkt, an dem das Ganze einfach kippt (Tipping Point) oder überschwappt – in welcher Form auch immer.
Heute bin ich trotz all der Krisen guten Mutes, dass wir als Agentur mit unserem Tun auf einem sehr guten Weg sind, der sich von anderen sicher unterscheidet, auch wenn er etwas Zeit benötigt. Und das ist gut so. Ich habe auch wirklich richtig Lust darauf, gerade weil es verschiedene Überlegungen gibt, auf die es sich zu fokussieren lohnt. Doch dieser Weg, samt seiner gesammelten Erfahrungen, hat sich eben seit 1987 mit dem Start meiner Lehre als Typograf entwickelt, und nicht von heute auf morgen – mal mit ein paar Schlaglöchern drin, mal geschmeidig und glatt, oder auch mal mit ein paar kleinen Stolperfallen, die man heute schon fast zu den Lerneinheiten in dieser Branche zählen kann.
Wenn ich so darüber nachdenke und mich zurückbesinne, warum ich diesen Beruf erlernen wollte, dann war das eigentlich recht einfach – aus heutiger Sicht. Pfarrer wollte ich nicht werden, Mathe, Chemie, Physik und alle Dinge, die mit Zahlen und Logik zu tun hatten, wollte ich nicht verstehen. Deutsch war super (Kommunikation), Sport auch, das Zeichnen und die Musik haben Spaß gemacht (Musisch). Und da ich 1984 in der Breakdance und Graffitti-Szene aktiv war, hingen Bewegung und »etwas Bewegen« recht nah zusammen, so die Erkenntnis heute. Als ich von meiner Lehrerin für das einwöchige Schulpraktikum dann in die Werkstatt einer Tankstelle gesteckt wurde, wurde mir schnell bewusst, dass auch ein KFZ-Handwerk nicht in Frage kommt, genauso wenig wie ein kaufmännischer Job. So habe ich mich mit 16 Jahren das erste mal an einer Grafik-Design-Schule beworben, bin unter 240 Leuten ausgewählt worden zur Prüfung, was natürlich aufgrund des nicht vorhandenen Erfahrungsschatzes fehl schlug. So habe ich eine Schriftsetzerlehre begonnen, meinen Meister erfolgreich bestanden, und bin mit viel typografischem Wissen in die ersten Agenturen, bis ich 1998 mit einem Partner meine erste eigene Agentur gründete, die nach 3-4 Jahren 40 Leute inne hatte. Nach dem Zusammenbruch der damaligen New Economy gründete ich mich neu, und wollte eine eigenständige, kleine und feine Agentur aufbauen, was bis heute gelungen ist.
Würde mich heute jemand fragen, ob sie/er Design studieren solle, würde ich ihr/ihm glaube ich folgendes mitgeben: »Überlege Dir genau, warum du dir das antun möchtest, und vergiss die schöne bunte heile Werbewelt, die du vielleicht noch damit verbindest. Design und Kommunikation sind mächtige Werkzeuge, mit denen sich Inhalte erzeugen lassen, die mit Bedacht auf die Menschheit losgelassen werden sollten. Wie in jedem anderen Beruf auch – erkenne für dich den Sinn darin.«
Wie denken Sie über langlebige Gebrauchsgüter für jedermann?
Toby O. Rink: Was wir heute an den Produktmärkten erleben ist eigentlich oldschool. Ich drücke es mal salopp aus: »Neben einer Hand voll guter Marken und Produkte, werden wir zum größten Teil von mittelmäßigem bis billig hergestelltem Mist umgeben, der nicht zu Ende gedacht ist.« Natürlich gibt es mehr als eine Hand voll qualitativ guter Produkte. Doch jene, die es seit vielen Jahrzehnten geschafft haben sich auf den Märkten zu behaupten, immer wieder neu zu erfinden und dabei die Qualität aufrecht zu erhalten, diese werden immer seltener. Sicher wird auch noch gutes Design produziert, anhand dessen sich Produkte besser verkaufen lassen, doch das Dahinter ist nicht mehr auf Langlebigkeit ausgelegt, sondern auf das schnelle Geschäft, dass die Umsätze weiter in die Höhe treiben soll. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Design seinen Stellenwert »noch« behaupten kann. Doch auf der anderen Seite muss man sich fragen, wohin das führen soll und was für ein Design das ist, dass nicht im Sinne einer nachhaltigen Produktentwicklung entwickelt wird, sondern im Sinne einer »günstigen Verführung«, die nach überschaubarer Zeit nur unsere Müllberge erhöht. Wenn man das so betrachtet, wird Design damit unterbewusst abgewertet, da es kein werthaltiges Produkt stützt, sondern ein minderwertiges. Und damit wird das Ansehen von Designleistungen- und Gütern nach und nach selbst zu einer minderwertigen Begleiterscheinung – sofern wir das zulassen.
Die Menschheit konsumiert sich zu Tode. Das massenhafte Überangebot konkurriert sich inzwischen permanent gegenseitig, womit sich auch die Preisentwicklungen immer instabiler gestalten werden, da man für ein mittelmäßig produziertes Produkt heute eigentlich zu viel bezahlt. Einige Generationen kennen inzwischen doch gar nicht mehr die wahre Qualität eines herausragenden Produktes. Das gleiche gilt übrigens auch für jegliche Serviceangebote und Dienstleistungen. Wer heute einen anständigen und sauberen Service oder eine anständige Dienstleitung möchte, feilscht deren Preis entweder herunter weil es woanders auch billiger geht, oder ist überrascht, dass es so etwas noch gibt, freut sich darüber und bezahlt gerne etwas mehr dafür – oder auch nicht. Selbstverständlich ist heute gar nichts mehr, so traurig das leider ist.
Wir Menschen müssen wieder lernen für eine werthaltige Arbeit oder Leistung einen normalen und anständigen Preis zu bezahlen, vor allem wenn wir über das Thema Nachhaltigkeit sprechen. Wenn ich es mir nicht sofort leisten kann, dann spare ich eben dafür. Doch auch Geduld ist inzwischen leider Mangelware. Kaputte Gesellschaft. Es gibt gute Ansätze, doch wir dürfen nicht erwarten, dass wir den planetaren Raubbau der letzten Jahrzehnte, den wir alle gemeinsam begangen haben, einfach so hoppla hopp umkehren. Das wird seine Zeit brauchen, und das wird vor allem eine neue Haltung und ein Umdenken erfordern – bei jedem von uns. Es gibt heute viele tolle und alternative Materialien und Lösungen, die man in den 60/70/80er Jahren noch gar nicht kannte. Materialien, die unseren Planeten weniger belasten und Lösungen, die sinnvoller und nachhaltiger gedacht sind. Gebrauchsgüter sollten nicht als Wegwerfgüter betrachtet werden, sondern als Güter des tägliches Gebrauchs, die man gerne lange nutzen möchte. Technische Produkte, die sich wieder reparieren lassen, weil ein Fachbetrieb uneingeschränkten Zugang bekommt, um sie durch den Tausch eines Ersatzteils wieder instand setzen zu können. Eben weil der Rest eigentlich noch gut funktioniert und deshalb nicht weggeworfen werden muss. Frei zugängliche Modularität kommt mir hier als Gedanke, ganz gleich, ob es sich hierbei um einen PC, Mac oder ein TV-Gerät handelt. Im Sinne einer nachhaltigen Produktstrategie ist es in meinen Augen auch unerlässlich, dass man versucht, weniger Technikschrott zu entsorgen, wenn der Austausch eines Bauteiles dazu beitragen kann.
Welche Gesellschaft wünschen Sie sich, und wie kann Marke Mensch Natur dazu beitragen?
Toby O. Rink: Gehe ich von unserem Markenmodell aus, dann sehe ich den Beginn einer Wunschgesellschaft im Zentrum – es sollte zunächst von mir selbst ausgehen. Was wünsche ich mir? Was kann ich selbst an mir verändern? Was kann ich in meinem direkten und privaten Umfeld verändern oder positiv beeinflussen? Parallel dazu kann ich damit beginnen, mich im Rahmen meiner Stadt lokal zu engagieren, um die Dinge dort mitzugestalten. Und meist gibt es hier ja bereits genug Baustellen. Neben den lokalen Aktivitäten sehe ich dann die Aktivitäten in den Bundesländern, dann jene, die für ein gesamtes Land stehen. Erst danach macht es in meinen Augen Sinn, sich die globale Gesellschaft zu betrachten, die wir als Einzelner zwar nicht ausblenden sollten, für die uns im Kleinen aber oft die Hebel und Verbindungen fehlen. Für das Globale sind in meinen Augen saubere politische Schlüsselpositionen zuständig, die wiederum von oben nach unten arbeiten sollten – also vom Globalen hin zum Lokalen.
Ich denke, wenn sich jeder ernsthaft ein klein wenig an der eigenen Nase zupft und drinnen bei sich selbst und seinem engsten Umfeld beginnt, um Veränderungen anzustupsen und in Gange zu setzen, von denen man überzeugt ist, dann wäre das schon mal eine guter Beginn. Jeder Mensch hat etwas, dass er gerne tut oder einmal gerne tun möchte. Man kann sich auch verschiedenen gleichgesinnten Gruppen anschließen und sich zu einem WIR verbinden, dass damit deutlich mehr bewegen kann. Ich selbst kann einzelne Menschen nicht verändern oder von etwas überzeugen, ich kann aber an mir selbst arbeiten und damit vielleicht etwas wie eine Art »kleines Vorbild« in meinem Tun und Handeln sein. Und genau jene Vorbilder brauchen auch unsere zukünftigen Generationen in und für sämtliche Schlüsselpositionen. Vorbilder, die eine positive Haltung innerhalb der Gesellschaft vertreten und sich einer sinnvollen Sache annehmen. Natürlich werden klare Haltungen mit anderen klaren Haltungen kollidieren. Doch wenn diese Haltungen auf Augenhöhe stattfinden und mit dem dafür nötigen Respekt zueinander, dann zählt nicht das Mehr in Form von Macht, Umsatz oder Wachstum, sondern kann zu einem Mehr führen, das dem Gemeinwohl nutzt.
Wenn ich mir eine Gesellschaft wünsche, dann eine, in der jeder »Mitgesellschafter« zufrieden mit sich selbst sein kann. Zufriedenheit braucht einen gewissen Halt, ein respektvolles Miteinander und mehr. Dieser Halt definiert sich in der westlichen Gesellschaft leider zu stark über Kapital und Wohlstand, statt über eine Gemeinschaft die neidloser zueinander hält. Ich würde mir ein gesundes Preis- und Kostengefüge wünschen, dass nicht von einem permanenten und gierigen Wachstum getrieben ist, das die Menschen krank macht, weil sie mehr Arbeit in kürzerer Zeit zu bewältigen haben. Eine kranke Gesellschaft nutzt keinem, und kann auch nicht durch noch mehr Investitionen gesunden, wenn sich an der allgemeinen Einstellung nichts ändert. Global betrachtet, würde ich mir eine gerechtere Verteilung der Reichtümer wünschen. Wer mit 1,90 US-Dollar am Tag auskommen muss, gilt nach der Weltbank als extrem arm. Und das trifft leider auf 10 Prozent der Weltbevölkerung zu. (Die 10 ärmsten Länder weltweit). Für eine gemeinsame Zukunft ist dies keine Grundlage, denn hier findet eine ungerechte Ausbeutung statt – für unseren Wohlstand. Für diesen Wohlstand schaffen wir es global tausende Kilometer Ölpipelines zu verlegen, haben es aber noch nicht wirklich geschafft das gleiche mit sauberem Trinkwasser hin zu bekommen. Als Marke Mensch Natur sind wir offen für solche Projekte und unterstützen wie es geht. Wir halten aber auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht unsere Kunden strategisch zu beraten – unser gemeinsames Tun und Ziel sollte sein, ein gesundes und authentisches Unternehmen aufzubauen.
Welche Wünsche oder welche Vision haben Sie für die Zukunft?
Toby O. Rink: Viele kleine Wünsche hat man ja immer wieder mal. Viele dieser Wünsche sind greifbar, andere wieder nicht. Die Frage ist doch, ob es ein wirklicher Wunsch ist oder eine Art Verlockung. Ein wirklicher Wunsch ist energetisch kraftvoller und trägt mehr Stabilität in sich, meist verbunden mit einem klaren Ziel. Eine Verlockung ist eine Art Momentsituation, in der man sich fragen sollte, ob sie mich zufriedener macht, wenn ich sie mir erfüllen würde oder eben nicht. Was ich aber immer wieder feststelle ist, dass ich sehr zufrieden bin, wenn ich Zeit geschenkt bekomme, mich den Dingen und Vorhaben in absoluter Ruhe widmen zu können. Und am besten ist das, wenn andere diese Zeit auch haben. Darum liebe ich die Weihnacht- und Ferienzeiten, weil sich hier auch die anderen Menschen um mich herum, diese Zeit für sich gönnen – also niemand möchte etwas Wichtiges von dem anderen. Alle sind wie abgeschaltet, Ruhe. In solchen Momenten genieße ich es Dinge zu tun wie zum Beispiel einen Text wie diesen zu beantworten, an einem Designvorhaben herum zu tüfteln, mir einfach nur Gedanken machen zu können über eine Sache, die ich gerne weiter treiben möchte, einen Ausflug mit meiner Familie zu unternehmen oder mich mit Freunden oder guten Geschäftspartnern über sinnvolle oder auch mal sinnlose Dinge austauschen zu können. Das Leben auch mal 17 sein zu lassen und mal irgendwie nichts zu planen und einfach geradeaus leben zu können hat natürlich auch etwas, wobei das bei uns eher seltener vorkommt – irgendetwas geht immer. Darum ist einer meiner wichtigsten Wünsche gesund alt zu werden, um solche Aktivitäten noch lange, lange ausüben zu können.
Wenn ich mir etwas für unsere Agentur wünschen würde, dann wünsche ich mir eine Art Raum, Gebäude, Umgebung, »einfach« einen Platz, in der die Welt der Gestalter und Gestalterinnen aufeinander treffen. Ein Platz für Kreative, Visionäre, Quer- und Andersdenker:innen und Gestalter:innen jeglicher Hinsicht – einen Good Earth Place, der ein Anlaufpunkt darstellt, an dem die Menschen auf vier verschiedene »Inseln« treffen: Auf die Inseln »Design, Branding & Kunst«, »Life-Balance & Health«, »Social Culture« und »Music & Food«. Das gedankliche und schriftliche Konzept habe ich schon vor einigen Jahren geschrieben, doch ein solches Projekt braucht das WIR, es braucht Unterstützer und vielleicht einen gleichgesinnten Investor oder eine Stadt, der/die das möglich machen kann. Die Vision dahinter ist das Gestalten. Ein Gestalten, dass nicht alleine auf Design und Kunst beschränkt ist, sondern alle Facetten des Lebens- und des Lebenswandels mit einbezieht. Als Gestalter betrachte ich alle Menschen, die an etwas mitgestalten, etwas verändern und bewirken möchten. Am Ende geht es immer wieder darum, dass wir als Menschen inspiriert werden möchten. Sei es in Form von Wissen, Kunst, Technik, Musik, körperlichen Aktivitäten oder in Form kleiner, einfacher und lebenserhellender Freuden. Das Leben an sich ist ein reines Gestalten, es ist aktiv oder inaktiv, es ist bunt oder eintönig, es ist laut oder leise, es ist lebendig oder langweilig – es liegt an uns selbst wie wir es für uns gestalten und gestalten möchten. Wenn wir es schaffen, den Menschen ein paar leuchtende Augen, Freude und Emotionen hervor zu locken an die sie sich gerne zurückerinnern, dann können wir in diesem Moment nicht allzu viel falsch gemacht haben. Es sind diese kleinen Momente, die zählen und mit denen wir eine Gesellschaft um uns herum Stück für Stück inspirieren und bereichern können – im Sinne aller, samt den skeptischen Ausnahmen.
Ein neues eigenes Projekt wird im nächsten Jahr ein eigener Shop werden und das Schaffen eines Fashionlabels, das passend zu unserem Tun auch mit dem Thema »Gesellschaftsdesign« oder »Gesellschaft gestalten« zu tun hat. Die Markenregistrierung ist durch, und wir sind selbst gespannt auf die Wirkung dieses Projektes.